Prof. Dwivedi scheint extra für unsere Verabredung ins Institut gekommen zu sein. Ich frage sie, wie es ihr geht. So kurz vor der Berentung (retirement). „Tired“ (müde) schallt es mir laut und klar, fast vorwurfsvoll entgegen. „I am not tired!“. Das hätte sie nicht zu sagen brauchen. Sie wirkt jung. Sehr jung. Hellwach ist sie mit ihren warmherzig funkelnden braunen Augen. Und der Haut einer 20-jährigen. Ich verstehe sofort was sie meint. Vor ein paar Jahren habe auch ich mich entschieden, zu reifen. Aber nicht zu altern.

Wir sprechen über Frauen. Natürlich! Frauenheilkunde sagt sie, ist eine politische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nein! Es ist noch viel mehr. Frauenheilkunde ist eine Verpflichtung an die Welt. Die Gesellschaft, alle Gesellschaften sind aus dem Schoß von Frauen geboren. Wir Frauen ziehen unsere Kinder groß. Mit bedingungsloser Hingabe. Wir Frauen haben eine ganz besondere Sicht auf die Welt. Unsere Sicht ist weich und warm. Voller Mitgefühl und Verbundenheit. Wir Frauen benötigen Verständnis. Tiefes Verständnis in allen Phasen des Lebens. Verständnis nährt uns und ist genauso wichtig für unsere Gesundheit wie regelmäßige warme Mahlzeiten und ausreichend Schlaf. Jede einzelne Frau möchte gesehen werden. Unabhängig von Religion, Status, Alter, und der Gesellschaft in die sie hineingeboren wurde. Wir sind sensibel und verletzlich, was uns stark macht. Gerade das müssen wir Frauenärzt/Innen pflegen. Wir haben die Aufgabe Vertrauen zu schaffen. Ein Vertrauen das uns einen tieferen Zugang zu unseren Patientinnen verschafft. Um Verstrickungen aufzuspüren und Knoten zu lösen, die uns krank werden lassen. Nur dann haben wir Zugang zu dem Prozess der Heilung. Wir, die wir jeden Tag mit Frauen arbeiten, müssen uns ersteinmal selber kennenlernen. Uns Zugang zu uns und unserer eigenen tiefen Weiblichkeit verschaffen. Nur dann können wir unsere Patientinnen wirklich verstehen und echte Hilfe leisten.

 

 

Es dauert keine 5 Minuten. Dann sind wir mitten drin in unser beider Lieblingsthema! Das Thema das unserer beider Leben einen tieferen Sinn verschafft. Frauen und Heilkunde. Gemeinsam schauen wir wie viel Zeit ich denn wirklich benötige, um bei ihr das zu lernen was für mich wichtig ist. Wichtig um meinen Patientinnen beides anzubieten. Mein schulmedizinisches Wissen aus vielen Jahren Praxis in der Frauenheilkunde und das alte Wissen des Ayurveda. Prof. Dwivedi ist pragmatisch, klar und ohne Umwege. Es gibt ein Ziel: nur das Beste zum Wohle aller Frauen und zwar auf direktestem Weg. Ich bin tiefenentspannt. Hier fühle ich mich zuhause. Wieviele Jahre habe ich damit zugebracht, gerade diese Eigenschaft für mich als eine zutiefst feminine und kraftvolle anzunehmen!

Dann lerne ich Dr. Sunita kennen. Sie ist Prof. Dwivedis Assistentin. Sie wir mir ein paar Tage alle Prozeduren zeigen, die für mich wichtig sind. Sie zeigt mir an einer Patientin die Durchführung, die zweite Patientin behandele ich unter Anleitung von ihr selbst. Das Handling ist mir durch die jahrelange Erfahrung als Frauenärztin weitestgehend bekannt. Im Anschluß bekomme ich ein persönliches Teaching von Prof. Dwivedi. Zuhause. Sie bringt mir von allen Anwendungen bei, wie und bei welchen Frauen sie sie einsetzt. Welche Wirkungen und Risiken die Behandlungen haben. Welche Erfolge und Misserfolge sie damit hatte. Dr. Sunita und ich tauschen Mailaderessen aus, damit wir meinen Aufenthalt im Sommer planen können. …ach, noch eins. Wie sieht es mit einer Vergütung für die Zeit meines Lernens an der BHU aus? Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber auch hier findet sich eine Lösung, die mich sofort berührt. Wie wäre es, wenn ich den indischen Patientinnen die Medikamente zukommen lasse, die sie benötigen? Das ist für uns Europäer ein kleiner Betrag. Aber für viele, gerade mittellose Frauen in Indien eine echte Hilfe. Und an Dr. Sunita sollten wir auch denken. Sie bekommt kein besonders üppiges Gehalt… Da fällt mir sicher etwas ein. Ja, so machen wir`s! Unser Gespräch endet damit, daß ich Prof. Dwivedi sage, wie sehr sie mein Herz heute zum Lachen gebracht hat. Sie antwortet darauf, es sei ihr eine Freunde und eine Verpflichtung, ihre Erfahrungen mit mir zu teilen. Sie ist glücklich darüber in mir weiter leben zu dürfen. Ihr Wissen wird durch mich weitergegeben an die Frauen dieser Welt. Und sie ist sich sicher, bei mir ist es in guten Händen.

Heute habe ich erfahren, was es bedeutet ganzheitliche Medizin zu praktizieren. Ganzheitlich bedeutet ganz einfach mit ganzem Herzen! Im Flugzeug zurück nach Delhi weine ich. Aus ganzem Herzen.